Tag Archives: Gedanken

mehr Fragen

heute gesellen sich ein paar weitere Gedanken zu den nicht so ernsten Wanderfragen dazu:

Wer erfreut sich eigentlich morgens an hartgefrorenen Frühstücksbütterchen?

imageWarum sind Jahreszahlen für uns so wichtig, dass alles datiert wird, von der Brücke vor, dem Brunnen im bis zur Lawinenverbauung über dem Dorf?

Sind Kletterleitern aus Holz im senkrechten Felshang vertrauenswürdig wenn links und rechts Kreuze an vorher Abgestürzte erinnern?

image

Darf ein Berg-Gasthaus auf derTafel im Tal “offen” verkünden und dann den müden Wanderer 30min später mit “Dienstags geschlossen” abblitzen lassen?

Ist es zulässig, als 20jähriger Schwingerkönig ein John Dear Traktrorenposter über dem geblümelt angezogenen Bett hängen zu haben?

Warun sind ausgerechnet die Pfahlbauer Pflichtstoff in der Primarschule?

Warum muss Pingu nun auch im verträumtesten und heimeligsten Dorf den Dorftrottel spielen?

Warum wird man auch in der Pizzeria in Leukerbad barfüssig schlechter bedient als mit gefälschten Designerturnschuhen?

zwei Stunden zuviel

image

Waren es heute zwei Stunden zuviel? Der heutige Sonntag war mit acht oder neun Stunden bei leibe nicht der längste und mit 2500 Höhenmetern, 2000 davon abwärts, auch nicht der strengste. Dennoch, waren es heute 2 Stunden zu viel?

Was hat mich von der wunderschön gemütlichen Belalp noch mach Blatten getrieben? Was vom heimeligen Blatten noch in den Schatten runter nach Naters, in die Aglo von Brig (und einstigem Wohnort meiner Grossmutter)? Was mich dann noch über die Rote Brigg rüber nach Brig?

Ich wollte noch ein paar Kilometer machen, um den Plan halten zu können, um am Montag noch die dreissig Kilometer nach Jeitzingen zu schaffen, um dort Papa für die nächste Etappe zu treffen. So gerne ich mit ihm einen Tag durchs Wallis gelaufen wär, soviel Spass es mir bisher gemacht hat, mit meinen Freunden ein paar Etappen gemeinsam zu bestreiten – ich war gleichsam auch “Gefangener” meines Routenplans. Hatte Postautos zu erreichen und an der Route festzuhalten. Heute fühlte ich mich getrieben, bereits für Dienstag noch ein paar Kilometer zu machen.

Heute waren es zwei Stunden zu viel, ich bin aber auch froh, diese gelaufen zu sein. Jetzt freue ich mich nach drei wunderbaren Wochen durch die Schweiz mit Freunden auf ein paar Tage Solowandern im Rhonetal. Und dann auf Tina und Thomas zum letzten Wochenende irgendwo im Unterwallis … wo immer dies dann genau sein wird.

und mir?

image

“Und wie (er)geht es eigentlich Dir?” Werde ich manchmal am Telefon oder per sms gefragt?

Körperlich umd mental ausgezeichnet! 🙂

Ernsthaft: ich und vor allem meine Knie haben die körperlichen Strapazen bisher sehr gut gemeistert. Vor allem die letzten drei Tage mit jeweils mindestens 7h Wanderzeit und je 2000m und mehr Höhendifferenz waren ein bisschen mehr als gemütliches Spazieren. Klar spüre ich Abends vielleicht hier ein Ziehen und dort ein Klemmen. Dann staune ich aber am Morgen selbst, wie gut sich der Körper wieder erholt hat. Ich versuche aber auch, mit den Belastungen sehr bewusst umzugehen: einerseits gehe ich sehr sehr konstant, ja schon fast monoton. So lãuft das “Motörchen am besten und zwar egal wie steil es ist. Konditionell lief ich so noch nie im roten Bereich (Holz anfassen). Mit dem zusätzlichen Grund, dass ich vor allem in den Bergen für Notfãlle auch noch Reserven haben möchte.

Am ehesten machen sich die Knie bemerkbar, zum Teil begleitet von der Achillessehne und meiner rechten kleinen Zehe. Ich bin aber weit von den Knieschmerzen von früher entfernt. Knorpel und was es da sonst noch hat, machten bisher und auch mit dem extra Packgewicht prima mit. Der Bandapparat mit der medialen Patellasehnenseite reagiert manchmal etwas launisch. Ich versuche dann jeweils mit der “Wandertechnik” (ja, das gibt es) auch die Belastung zu variieren. Trotzdem habe ich meinem Fahrgestell heute zusammen mit dem Regenwetter einen Ruhetag gegönnt und bin nur zur Etzlihütte hochgelaufen.

Soviel zu Motor und Chassis. Und Kopf und Seele? Ich bin noch nicht Petrarca, welcher sich im Bergerlebnis selbst neu gefunden, von “Flow” ist ebensowenig zu merken. Und, auch wenn ich aktuell auf dem Bündner Ast des Jakobswegs laufe, bin ich noch nicht erhellt oder geläutert. Mir gehts ganz einfach unbeschwer gut. Mallory’s Gedankengang zum Grund für die Besteigung der Berge (“weil sie da sind”) gibt die Tiefe meiner Gedanken recht gut wieder. Also, was dann?

Hãufig bewegen mich reichlich praktische Gedanken zur Tour, v.a. auch wenn ich zusätzliche Verantwortung für die Begleitung habe. Ich reflektiere etwas zufällig meine berufliche Situation oder lasse vergangene Eindrücke der letzten Tage Revue passieren. Aktuell jagen mich zudem ein paar vorfreudige aber auch respektvolle Überlegungen zu weiteren Vorlesungen, zu welchen ich mich verpflichtet habe. Und zur Vorfreude gehört ebenso, dass Tina ab morgen wieder mitwandern wird.

Und dann gibt es aber auch Tage wie heute! Doch dazu nach dem Essen mehr …

Mmhh, das Essen war ganz grosse Klasse. Ein Kompliment der Küchencrew für die Improvisation (der Heli konnte heute wieder nicht mit Nachschub fliegen).

Der Tag heute. Zuerst schien es, als wollte ich nicht in die Gänge kommen. Ich war vom “fehlenden” Regen richtig überrumpelt. Doch schon nach wenigen Metern im märchenartigen Wald ob Briaten machte sich eine tiefe innere Ruhe breit.

Die Sonne glitzerte durch den Morgenwald, die nebelkühle Luft drang bis tief in die tiefsten Lungenflügel. Richtig durchatmen, nichts denken nur geniessen … ganz einfach herrlich!

Appenzeller-, Sarganser- und Glarnerland hinter mir gelassen, hatte ich gestern mit den ersren Schritten im Urnerland auch erstmala das Gefühl auf einer lãngeren Weitwanderung zu sein. Vorbei das Gefühl einer langen Wochenendtour, vorbei die bekannten Berge. Auch auf der Karte ist jetzt mehr als ein paar Zentimeter. Ein Drittel der Schweiz ist schon fast durchquert. Ja, vielleicht sind dies die ersten “fliessenden” Wandertage. Ich freue mich auf mehr ….

Was wohl die Kühe denken?

image

Was denken sich wohl die Kühe, welche auf der Weide tropfnass aber geduldig dem Regen trotzen und mir trotzig nachschauen? “Du, Irma, was isch ech das för en komische Kauz ir blaue Jagge?” – “ke Ahnig, allewäg nöd de Vehdoktr, de isch ersch grad letschts Woche do gseh.” – “Secher nöd, de seb rocht immer e Chrumi, und Köfferli het er o kes derbi.” – “Wird wohl so ön Autdor-Ma sii, wesch wie die os em Katalog” – “meinsch? De het doch abr ken Drohtesel debi ond o ke Stöck. Hui, Berta log, er macht es foti vo üs” – “Muuuh” … mir kommt unweigerlich Gary Larson’s Cow in den Sinn (http://2.bp.blogspot.com/_zTW7YIHZb1o/RxOtpJiQ1GI/AAAAAAAAAUI/Y-EgD2GXyAM/s400/gary_larson_cows.jpg).

Ja, solches geht mir an einem langen Regentag durch den Kopf. Und heute warens sieben Stunden Regen. Reichlich profan, wenig philosophisch. Wie etwa: hmm, halten die Schuhe dicht? Ich sollte wohlmal wieder etwas trinken? Wie hiess nochmal der Muskel, welcher seit der Tour von letzter Woche spannt (M.Tibialis)? Mhh, hier duftet es schön modrig. Sinke ich hier knöcheltief im Dreck ein? Gehts links oder rechts? oder: Warum hat Stein eine Tanne im Wappen und keinen Stein? Warum kleben die grössten Toggenburg-Kleber an Zürcher Autos? Warum hiessen auf der heutigen Route gleich zwei Alpen “Dreckloch”? Und die Alpen daneben Dunkelloch und Schwarzegg? Warum werden alle Appenzeller Hunde ‘Bless’ getauft? … reichlich Alltagsphilosophie … und trilotzdem wandert es sich bei Regen leicht und erholsam … noch ein Tag liegt so drin ….

falsche Richtung …

image

… oder zurück zum Anfang: mit dem Zug nach Norden. Im Voralpenexpress. Früher war er eine sie, die SOB. Noch immer trödelt er aber durch die grünen Hügel. Vorher rechts Speer und Säntis, jetzt, nach dem Tunnel, hängen Nebelfetzen im Toggenburg. Im Zug Kindergeschrei und 20 Jahre alte Luft. Toggenburg und Appenzell, morgen komme ich wieder, dann zu Fuss, südwärts. Ich freue mich auf die Ruhe und frische Luft …

das blaue Wunder

Nach dem Probelauf im Avers hab’ ich mich letzte Woche an die Hauptprobe gewagt: mit Thomas drei Tage auf dem Riedgletscher. Balfrin, Ulrichshorn, Grosses Bigerhorn und schliesslich das Nadelhorn: wunderbare Tage in den Bergen, täglich 10h unterwegs, Knie und Material haben den Test bestanden … einzig ein wundersam blauer Zeh’ zeugt noch vom Abstieg vom 4350m hohen Nadelhorn nach Saas Fee.

Auf ein ganz anderes blaues Wunder hoffe ich jetzt: einen wolkenfreien Himmel für meine ersten der rund 400km quee durch die Schweiz … am Dienstag gehts los!

PS: … kein blaues, aber ein kleines technisches Wunder: die ersten (allerdings reichlich belanglosen) Blogzeilen per Android …

zur richtigen Zeit

Mein Bruder hat mir vor Jahren Nicolas Bouviers Klassiker “die Erfahrung der Welt” geschenkt. Mit dem Umzug habe ich es unbeachtet von einem Bücherregal ins andere gestellt. Die Zeit schien für das Buch noch nicht reif zu sein. Im Fotomuseum bin ich über Annemarie Schwarzenbach wieder fast ungeachtet bei Bouvier gelandet. Und schliesslich ist es mir just vor ein paar Tagen wieder in die Hände geraten … das Buch scheint seine Zeit beharrlich aber richtig gewählt zu haben. Ein wunderbarer Bericht – Bouvier beginnt:

“Ich sah mir die Karte an. […] Wir hatten zwei freie Jahre vor uns und Geld für vier Monate. Unser Programm war vage, aber bei solchen Unternehmungen ist es das Wichtigste, dass man überhaupt einmal losfährt.”

wohin auch immer .... einfach los

Tina meint, auch mir würde es gut anstehen, in meinem Wanderplan vage zu bleiben und doch einfach loszulaufen. Da denke ich an den letzten Blog-Post und die “Route 0.6”  … 😉

Nicolas Bouvier fährt ein paar Zeilen weiter unten fort:

“Eine Reise braucht keine Beweggründe. Sie beweist sehr rasch, dass sie sich selbst genug ist. Man glaubt, dass man eine Reise machen wird, doch bald stellt sich heraus, dass die Reise einen macht.”

Meine Vorfreude wächst …

der erste Wanderer

April 1336, der italiensiche Dichter Francesco Petrarca besteigt mit seinem Bruder den Mont Ventoux in der Provence. Der Aufstieg in die karge, vom Wind zerzauste Region ist mühselig (… ähnlich muss es den Fahrern der Tour de France auf diesem klassischen Teilstück ergehen…). Ich selbst erinnere mich noch gut, wie mir der trockene Wind auf dem Berg ins Gesicht schlägt. Der Blick in die Ferne, das Panorama von den französischen Alpen über die Vaucluse bis fast zum Mittelmeer nach Marseille aber ist umwerfend und belohnt die Mühe des Aufstiegs allemal.

Mont Ventoux
Mont Ventoux im Sommer 2000

Ähnlich muss es Petrarca ergangen sein. Ihm tut sich ein Panorama auf, wie es vor ihm wohl kaum jemand gesehen hat. Der Aufstieg bedeutet für den Dichter aber auch eine Reise nach innen. Sie lässt ihn über seine eigene Vita beugen und über deren Rechtmässigkeit nachdenken, wie Martin Meier jüngst in der NZZ schreibt. In seinem Brief an Franceso Dionigi zitiert Petrarca eine Stelle aus den Confessiones von Augustinus von Hippo (354 bis 430 AD):

Und es gehen die Menschen hin, zu bestaunen die Höhen der Berge, die ungeheuren Fluten des Meeres, die breit dahinfliessenden Ströme, die Weite des Ozeans und die Bahnen der Gestirne und vergessen darüber sich selbst. [Confessiones X, 8]

Naturerlebnis und Introspektion fallen in diesem Moment auf dem Mont Ventoux zusammen.  Im Gegensatz zur mittelalterlichen Vorstellung sieht Petrarca die Welt nicht mehr als feindliche Durchgangsstation in eine jenseitige Welt. Sie besitzt eine eigene Wertigkeit. In Petrarca sehen denn viele Gelehrte nicht nur den Bergsteiger und Begründer des Alpinismus, sondern die Besteigung des Mont Ventoux als kulturhistorischen Schlüsselmoment vom Mittelalter zur Neuzeit …

Auch ich freue mich auf das Naturerlebnis … und auf die Moment der Einkehr nach innen. Auf den 30 Etappen zwischen Bodensee und Genfersee finde auch ich meine kleinen Mont Ventoux …